Ausstellung „Was bleibt“ in der Galerie „Kunst und Eros“
Verloren gegangen So allein Verworfen Verfangen In Stein
So möchte ich eingangs die Figuren, die sich in den Skulpturen von Anita Voigt-Hertrampf verbergen, umschreiben – ihrer äußeren Hülle und Form wegen: winzige Brüste über dem sich wölbenden Bauch oder üppigere Formen in Sandstein, vielfach eine „Reife Frucht“ beherbergend. Torsi, reduziert auf das, was der erste Blick einfängt, einfangen kann – die natürliche Form des menschlichen Körpers. Sie besitzen kaum spezifische Ausprägung und erinnern damit an die erste gefundene vorchristliche Frauenfigur, die altsteinzeitliche Venus von Willendorf, eine Fruchtbarkeitsgöttin. Dem Blick des Sehenden müssen sich so im Geiste Hauttönungen, kleine Muttermale oder gar Hautbilder, die wieder in Mode gekommenen Tattoos, beimischen. Die bemalten Torsi wiederum haben einheitliche Formen und unterscheiden sich nur in der expressiven Bemalung voneinander, Hautbilder besonderer Art, so wie bei den zwei Nymphen.
Ja vielleicht sind eher wir Sehenden die Verlorengegangenen, müssen wieder lernen Formen zu deuten, unsere Erinnerung beleben, die Phantasie ankurbeln. Müssen unsere Blicke, die in dieser schnelllebigen Zeit lernen mussten, in kürzester Zeitspanne ganzheitlich zu erfassen, wieder an genaueres, wirklicheres Sehen gewöhnen.
getröstete Blicke
fußwärts
nabelaufwärts
sehend
gekrönt
…gelangen wir zu den auf wenige Striche – ebenfalls - reduzierten Tusche- und Kohlezeichnungen der Künstlerin. Dort sind wir nicht mehr allein. Die Umarmungen, Berührungen und Verführungen suggerieren keine Einsamkeit, kein flüchtiges Hin- und Weg(schauen). Da finden Beziehungen statt und manchmal finden sich Hände und Münder, schmiegen sich Leiber in miteinander verschmelzenden Bewegungen aneinander, sei es im Schlaf oder in der sich wiegenden Paarung.
Auch wenn sich schlanke Körper in angedeuteten Pirouetten zu einer in Gedanken vorbeiwehenden Musik drehen, sich auf Papier oder in Stahl Körper in tänzerischen Posen zeigen, ist dies ebenfalls Leidenschaft pur.
Grazie
Dein Name
Eine Verheißung
Doch wo
Bleibst du
Damit das Thema der Ausstellung benennend: „Was bleibt“ singt Mia „Blaue Flecken auf meiner Haut…“ Sind das die Zeichen, die bleiben? In die Haut gebrannte Blessuren, wenn wir unsere Jugend hinter uns gelassen haben? Oder die faltigen Tattoos mit ihren verblassenden Farben?
Sind es nicht eher die Blessuren der Seele, die Narben hinterlassen, die die Unbekümmertheit der Jugend überwuchern, schmerzliche Erinnerungen in sich bergen, Verletzungen bannen?
Auch das kann man den Zeichnungen von Anita Voigt-Hertrampf ansehen. Ihre Figuren zeigen Verletzbarkeit, sind nackt unseren Blicken ausgesetzt. Unvollständige Konturen, angedeutete Köpfe, manche ohne Gesicht, andere gar kahl, scheue Bewegungen, verschwimmend im hingeworfenen Malstrich.
Anita Voigt-Hertrampf hat sich nach Jahren der Farbigkeit den schlichten Tusche-und Kohlezeichnungen zugewandt. Nur selten noch tauchen Farben und dann vor allem die Signalfarbe Rot in ihren Werken auf. Sie reduziert auf das Wesentliche, möchte „auf den Punkt bringen“. Sie schwelgt nicht mehr in Geschichten, die erzählt werden mussten, sondern stellt klar. Sie konzentriert ihre Arbeiten auf wenige – die Aussage treffende – Striche. Wichtig sind die Gefühle, die sie zeigen möchte und die Natürlichkeit des menschlichen Körpers.
„Lass mich fühlen, dass du bei mir bist“ singt Mia weiter.
Ja, genau so fühlt es sich an, wenn man sich ein Stück weit in die Bilder dieser Ausstellung vertieft.
Doch nicht nur ihnen, auch den Keramikreliefs, deren Bronzeglasur durch das Mischen mit anderen Glasuren in verschiedenen Schichten entstand, ist diese Innigkeit, fast Intimität anzumerken.
Über Alldem schwebt der Wunsch nach Nähe. Es ist diese Sehnsucht, die wir alle kennen und die uns weiterträgt.
Das bezeugen auch die plastischen Werke.
Annähern – Verbinden – Berühren
Du hast deine Flügel gespannt
Für mich
So sah für mich die faszinierende Mamorplastik von Anita Voigt-Hertrampf aus.
Überdimensionale Hände, gespannt um zerbrechliche Schultern, ein Geborgenheit vermittelndes Bild, gemeißelt in ein Material, das schon Camille Claudel benutzte um ihre nach außen sprengenden Gefühle in Stein zu hauen.
Ich fühlte mich beim Anblick der noch moosbesetzen Plastik unweigerlich an sie und ihr Schicksal erinnert. Eine Bildhauerin, der in ihrer Zeit als Künstlerin zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Sie war eben – neben ihrem Meister August Rodin - nur eine Frau.
Anita Voigt-Hertrampf hat an ihrer Plastik die Spuren, die die Natur hinterließ, entfernt und gibt sie nun unseren Blicken frei, nachdem sie die ursprünglich fertige Form noch einmal bearbeitete und – wie sie verriet – diese ihr nun stimmiger erscheint.
Anita Voigt-Hertrampf hat an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste ein Meisterstudium bei Prof. Claus Weidensdorfer absolviert und arbeitet seit 1995 freischaffend. Sie ist außerdem als Dozentin für Kunst und Kunstgeschichte an der Walddorfschule in Dresden tätig. Sie kann mittlerweile auf eine stattliche Anzahl von Ausstellungen verweisen. Zuletzt war sie mit einer Installation Teilnehmerin des Kunstfestivals “ORNÖ“ im Wasserwerk Saloppe, welches – leider unter mangelnder Publikation, wie die Künstlerin bedauerte - im August stattfand.
Abschließen möchte ich mit einem Zitat aus Siri Hustvedts „ Ein Sommer ohne Männer“, in dem die amerikanische Schriftstellerin über die Vergänglichkeit von Schönheit und Jugend fabuliert:
„Es gibt in der Kunst kein Gefühl, das nicht ausgedrückt, und keine Geschichte, die nicht erzählt werden darf…Die Verzauberung entsteht durch das Fühlen und das Erzählen, das ist alles.“
Deshalb lassen Sie uns die Zeichnungen und Skulpturen von Anita Voigt-Hertrampf erfühlen und uns gemeinsam diese Ausstellung, von der gewiss in Jedem von uns etwas bleibt, eröffnen.