Anita Voigt

Rauminstallation anlässlich der Kunstbiennale 2012 im Alten Wasserwerk Saloppe Dresden


In ihrer Rauminstallation „Der Sprung“ interpretiert Anita Voigt das Thema „Höchstwasser“, unter dem die Ausstellung in der alten Saloppe steht, als eine individuelle, zutiefst persönliche Begegnung des Menschen mit der Naturgewalt Wasser.

Sie positioniert eine weibliche Figur hoch über einem Wasserfall, der in die Architektur des alten Wasserwerkes eingebunden, kraftvoll zu Boden stürzt. Dafür verwendet die Künstlerin das Material Stahl, spannt es in streng gezeichneten Bögen durch den Raum und schafft so ein plastisches Gebilde, welches an informelle Grafik erinnert. Die einzelnen Elemente fließen vom obersten Ende auf den Betrachter herab, treffen auf andere hinzukommende Formen und expandieren in Volumen und Kraft, werden zu Hieben im Raum. Auf diese Weise ergibt sich ein dynamischer Gesamteindruck, der den Wasserfall als eine stürzende, brachiale Naturgewalt charakterisiert. Zu diesem Eindruck tritt, durch weiche Beleuchtung des unteren Teils der Installation, der Aspekt des Wassers als Lebensspender hinzu. Hier erscheinen die Wogen grazil, schillern verführerisch im warmen Bronzeton und entwickeln ein ästhetisches Spiel aus Schatten und Licht. Die korrodierte Oberfläche korrespondiert mit der farblichen Fassung der Figur und stellt eine Beziehung zu derselben her. Diese steht, als vertikale Verlängerung der stürzenden Wogen, in schwindelerregender Höhe. Auf den Ballen balancierend, die Arme seitlich vom Körper abgespreizt, alle Gliedmaßen bis in ihren kleinsten Teil hart angespannt, hält sie sich in einem labilen Gleichgewicht. Trotz der schmalen Silhouette wirkt die Figur wenig grazil, geschweige denn anmutig. Die Formen ihrer Weiblichkeit sind auf ein Minimum reduziert. Beide Beine pressen sich zu einer gestrafften Form zusammen, Hüfte und Bauch wölben sich nur gering nach vorn und die Formen der Brust sind nicht fließend weiblich sondern spiegeln die Körperspannung der gesamten Figur. Wie alle ihre Gliedmaßen ist auch der Hals der Plastik manieristisch überlängt, wächst aus einem knochig spröden Brustkorb heraus und trägt einen kahlen, massiv wirkenden Schädel, an dem die Schwerkraft ebenso zu ziehen scheint, wie an der Figur als Ganzheit. Die nicht geglättete, schrundige Oberfläche und der existentialistische Gesamteindruck der Plastik erinnert an die ephemeren Menschengestalten des Alberto Giacometti.

Der Literat Francis Ponge fasst das Thema des Malers und Plastikers so: „Der Mensch… die menschliche Person…Der freie Mensch… Das Ich … Zugleich Henker und Opfer… Zugleich Jäger und Gejagtes… Der Mensch – und nur der Mensch – reduziert auf einen Faden – in der Zerrüttung und dem Elend der Welt – auf der Suche nach sich selbst – aus dem Nichts. […] Der Mensch auf dem Bürgersteig wie auf glühendem Blech; er vermag seine schweren Füße nicht mehr davon zu lösen.“1

Für die raumgreifende Installation von Anita Voigt ist, in Bezug auf die über 50 Jahre älteren Arbeiten Giacomettis, eine Erweiterung der Problematik zu bemerken. Bei ähnlicher Körperlichkeit ist die Plastizität der Formen in „Der Sprung“ gespannt, die Füße beginnen sich vom Erdboden zu lösen, die Umgebung ist bewusst gestaltet; im Wasserfall zeigt sie sich als Herausforderung. Anita Voigts Figur stellt sich ihrem Umfeld, sucht Antworten in der Auseinandersetzung mit derselben. Die Problematik des Ringens mit sich selbst, die Notwendigkeit der willentlichen Entscheidung und das Aufbringen der dazu notwendigen Kraft sind jedoch zutiefst existentielle Fragen, welche Giacometti in seiner Zeit, aus männlicher Sicht ebenfalls bewegte.

Anita Voigt konfrontiert den Betrachter mit einer weiblichen Protagonistin. Den Blick konzentriert auf die Fluten gerichtet, tritt diese in ein Zwiegespräch mit dem Rezipienten, der die entgegengesetzte Perspektive einnimmt, doch auch aus dieser keine Antworten findet. In dem Spannungsfeld von Gefahr und Herausforderung, Schock und Faszination, Intuition und planerischem Handeln verdichtet sich die Frage, ob sie wirklich springen wird, ob ein willentliches und bewusstes Abheben für die Dargestellte überhaupt möglich ist? Andernfalls bliebe der Titel der Installation eine illusionäre Wunschvorstellung.

Maren Donix

Kunstwissenschaftlerin

(1) Ponge, Francis. Gedanken zu den Statuetten, Figuren und Gemälden Alberto Giacomettis. In: Neumann, Gerhard M. Texte zur Kunst, Frankfurt am Main 1967, S.114-118. Aus: Harrison/ Wood (Hrsg.) Kunsttheorie im 20. Jahrundert. Bd. 2. S.746.

Zurück